Texte zum Thema Deutsche Einheit

 

Eröffnungsrede von Uwe Schummer (MdB) am Vorabend der Deutschen Einheit

zur Ausstellung "weder Ochs noch Esel" im Schloss Neersen, 2. Oktober bis 9. November 2014

25 Jahre, eine Generation, und wir sehen wieder täglich die Bilder. Übermüdete Gesichter in der deutschen Botschaft in Prag, das Erstarken der Demokratiebewegung in der DDR, die doch das Demokratische in ihrem Namen gefangen hielt. Jeder von uns hat auch seine persönliche Erinnerung an die glücklichste Zeit der Deutschen. Eine friedliche Revolution, die aus den Kirchen auf die Straße kam.

1987 besuchte ich erstmals Bürgerrechtler in Ost-Berlin. Wir schmuggelten Zeitungen, Bücher, Matritzen für Offsetdrucker an die Streitschrift der Grenzfall, die Umweltbibliothek. Engen Kontakt hielt ich mit Rainer Eppelmann, der mit seinen BluesMessen den Berliner Appell anregte. Für uns war es Abenteuer, manche erhielten Einreiseverbot, das war dann wie ein Ritterschlag, für die Menschen, die wir besuchten hieß das Urteil lebenslänglich.

Besuche bei Pfr. Eppelmann liefen so ab, dass entweder das Radio laut geschaltet wurde, oder wir gingen spazieren, weil klar war, die Stasi hört mit. In seinem Buch Fremd im eigenen Land schildert er, dass überall in seiner Wohnung Wanzen installiert, Duftnoten gesammelt, seine Familie zerrüttet und die Bremsen an seinem Auto so manipuliert wurden, dass er ohne Schutzengel verunglückt wäre.

Zwei Künstler, Harald Klemm und Thomas Baumgärtel, lassen diese Zeit aufleben. Ein Gemeinschaftsprojekt. Mit heutiger Distanz, ohne Euphorie und zeitlos. Denn die Mechanismen einer Diktatur leben weiter. Angst zu verbreiten, wie die IS, Demonstranten zu kriminalisieren, wie in Hongkong, wo Hunderttausende für freie Wahlen ihr Leben riskieren. Aber auch in demokratischen Gesellschaften lebt der Ungeist, alles kontrollieren zu wollen. Die SammelWut der NSA ist weniger politisch als pathologisch. Der Präsident selbst erscheint als Gefangener einer Datenkrake, die sich verselbständigt hat.

Thomas Baumgärtel hat die Banane 1986 erstmals gesprüht, zum Kunstobjekt erhoben. Nicht gerade sondern krumm, in dicker Schale und in gelber Warnfarbe. Weit sichtbar, schnell erkennbar. In der DDR war die Banane rar und nur mit Devisen zu bekommen, eine exotische Frucht mit viel Vitamin B. Etwas, was immer weiter hilft: die Bückware unterm Ladentisch, das berufliche oder auch politische Vorankommen. Vitamin B hilft weiter. Heute ist sie in den Stadien ein Symbol gegen Rassismus. Was als Verhöhnung gegen Fußballer gedacht wurde, haben Fangruppen ins Gegenteil gedreht. Sport kennt keinen Rassismus. Selbst Hitler mußte bei der Olympiade in 1938 den Sieger Jesse Owens ertragen.

Kunst überwindet Ängste, Mauern und Stacheldraht. Sie überlebt auch den Potentaten. Das Brandenburger Tor, Synonym für das historische Berlin, stilisiert mit dem biblischen Motiv der Schwerter, die zu Pflugscharen geschmiedet werden. Es erinnert mich auch an die Zusammenarbeit mit dem weltweit ersten und letzten Abrüstungsminister Rainer Eppelmann. Er wickelte die NVA ab, aus Kasernen wurden Sozialämter und Gewerbegebiete.
Wir sehen auf dem Motiv auch eine Tapete und eine Familie und ahnen das Gefühl der Trennung, weil gerade dieses Tor, das Brandenburger Tor, über Jahrzehnte verschlossen, zugemauert war. Familien auseinandergerissen wurden. Familien gegeneinander aufgehetzt wurden, wenn Kinder das Lied vom Sandmännchen singen sollten, und so verrieten, ob ihre Eltern Westfernsehen einschalten. Trennung, Vertreibung und Flucht sind für Harald Klemm der Antrieb seines Schaffens. Noch Heute erleben wir täglich, wie Familien ihre Heimat verlieren, Schutz suchen und dann auch noch vorbestraftem Wachpersonal, dass sich selbst als SS bezeichnet, ausgeliefert sind.

Einige Gedanken, die diese Ausstellung in mir hervorruft. Der Künstler ist frei in seiner Gestaltung und deren Interpretation. Doch auch der Betrachter ist frei mit seinen Gedanken und wird so selbst zum Künstler. Es ist die Freiheit, die uns antreibt. So war es vor 25 Jahren bei der sanften Revolution und so ist es Heute, da wir sehen, dass Demokratie verletzlich ist und Freiheit immer auch der globalen Verantwortung bedarf. Beiden Künstlern und den Organisatoren danke ich für ihre Initiative, uns allen wünsche ich Inspiration und gute Gespräche.

Uwe Schummer, Mitglied des Bundestages, 2. Oktober 2014

 
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